Erzählcafé SPEZIAL – Wir können 2020 nicht löschen und neu starten
Diese Feststellung eines Teilnehmers fast so ziemlich zusammen, worüber die Gäste des „Erzählcafés SPEZIAL” am 11. September im Rahmen der bezirklichen „Interkulturellen Tage“ geredet haben.Nach der Vorstellungsrunde zeigte sich, es war eine bunte Runde, die sich da in den letzten warmen Sonnenstrahlen vor dem Stadtteilbüro zusammengefunden hatte: Ältere und Jüngere, „Eingeborene“ und Zugereiste, In- und Ausländer. Anne Haedke, die diese Runde leider das letzte Mal moderierte, fragte, wie denn alle die schwierige Zeit der Beschränkungen überstanden hätten. Eine ältere Dame meinte, sie wäre zur Fußgängerin geworden und hätte ihre Umgebung erkundet. Auch wenn sie zur Risikogruppe gehöre, zu Hause bleiben wäre für sie keine Option gewesen. Ein junger Mann aus der Gemeinschaftsunterkunft beklagte „die schreckliche Langeweile“, weil er nichts machen konnte. Nun freut er sich, dass er wieder zur Schule gehen kann, Freunde treffen oder Fußballspielen. Ein anderer saß allein am Computer und vermisste seine Kommilitonen, seine Familie, seine Freunde. „Da lernt man den Wert von Freiheit schätzen“, betonte er. Er und die anderen Geflüchteten sorgten sich um ihre Familien zu Hause. Tausende Neuinfizierte mit einem unzureichenden Gesundheitssystem, das nur in Anspruch nehmen kann, wer dafür viel Geld bezahlt. „Nur im deutschen Krankenhaus in Kabul gäbe es kostenlose Corona-Tests, sonst nirgends“, erzählte einer. Und dann kämen noch die kriegerischen Auseinandersetzungen hinzu.
Eine ältere Teilnehmerin gab zu bedenken, dass es uns im Gegensatz zu anderen Ländern „ja fast paradiesisch gegangen wäre.“ Eine andere Frau berichtete, dass Nachbar*innen ihre Hilfe angeboten hätten, eine habe sie auch angenommen, obwohl es ihr anfangs etwas unangenehm war. Umso mehr haben sie sich gefreut, dass nach und nach das öffentliche Leben wieder hochgefahren wurde, auch hier im Stadtteil.
Auch während der Beschränkungen wurde versucht, einige Angebote online weiterzuführen, fügte Mohamed Amer vom „LaLoka“ (Träger Gemeinsamer Horizont e.V.) hinzu, zum Beispiel durch Computerkurse oder Workshops wie man „im Internet bestellt“. Trotzdem fehlten insbesondere die kulturellen Angebote, wie eine junge Frau anmerkte. Konzerte, Festivals sind ausgefallen und richtig verreisen ginge ja auch nicht. Wenigstens könnten sie wieder ihre Familien besuchen, freuten sich die älteren Frauen. Was das Jahr noch bringen wird, darüber machen sie sich erst mal keine Gedanken. Und so fasste ein junger Mann aus Afghanistan die Gesprächsrunde zusammen: “Man könne dieses Jahr nicht löschen und dann einfach neu installieren, ohne Virus!”
Das “Erzählcafé SPEZIAL” ist ein Projekt vom Integrationsmanagement BENN – Berlin entwickelt neue Nachbarschaften, und an das Stadtteilbüro angegliedert.